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Lyrik hinter Gittern - Dorian Steinhoff in der JVA Schwerte

Dorian Steinhoff (Foto: Christopher Braun)
Dorian Steinhoff (Foto: Christopher Braun)

Dorian Steinhoff gibt einen Poetry-Slam-Workshop in der Justizvollzugsanstalt. Hier erzählt er, wie es war.

 

Ich solle was Blaues anziehen, riet mir ein Kollege, der schon öfters in Haftanstalten gearbeitet hatte. Die Knastuniform ist meistens blau. Dunkelblaue Jeans, dunkelblauer Pulli. Das Branding besteht aus einer aufgenähten Nummer. Wenn du was Blaues trägst, wirkt das gleich kollegial, sagte er. Ich trug tatsächlich ein dunkelblaues Hemd, als ich für den ersten Workshoptermin nach Schwerte fuhr, an der Pforte der JVA meinen Ausweis und mein Telefon abgab und durch einen Metalldetektor ging, der bereits hinter einer abgeschlossenen Tür lag. Jede Tür, die ich mit einem Mitarbeiter der JVA durchschritt, war abgeschlossen und wurde direkt hinter uns wieder abgeschlossen. Ein Flur im Knast ist ein Ort zwischen zwei abgeschlossenen Türen. Hätte die Beklemmung, die ich beim ersten Durchlaufen empfand, eine Farbe, es wäre: Dunkelblau. Ein tiefes und kaltes Dunkelblau, das einen frösteln lässt, wenn man es zu lange anschaut.

Anfahrt auf die JVA Schwerte (Foto: Dorian Steinhoff)
Anfahrt auf die JVA Schwerte (Foto: Dorian Steinhoff)

Die Heinrich-Böll-Stiftung NRW hatte mich beauftragt, einen Poetry-Slam-Workshop in der Justizvollzugsanstalt Schwerte zu leiten. Drei Termine, immer am Dienstagnachmittag. Schreiben, performen, zuhören, über Texte reden. An einem vierten Termin, abends, ein von mir moderierter öffentlicher Poetry Slam in der Knastkapelle. Häftlinge als Poeten auf einer Bühne, vor hundert Zuschauern aus Schwerte. So weit der Plan. Ich hatte mir nur eine Sache vorgenommen: Unvoreingenommenheit. Alles, was ich über die Teilnehmer des Workshops wusste, war, dass sie Verbrechen begangen hatten und dafür verurteilt worden waren. Ein Mensch, der ein Verbrechen begeht, ist etwas anderes als ein Verbrecher. Er bleibt Mensch, er wird nicht zu seiner Tat.


Wenn man eine JVA betritt, spürt man, was es heißt, die komplette Autorität über sein Leben abgeben zu müssen. Wie es sich anfühlen muss, zu einem Ausscheidungsprodukt zu werden, das für immer eine Nummer nicht nur an den Pullover genäht, sondern auf die Stirn tätowiert hat. Diese Nummer unsichtbar werden zu lassen, für mich und für die Teilnehmer selbst, darum ging es, das war die erste Herausforderung, der Ausgangspunkt für die weitere Arbeit.


Und dann war es ganz einfach, ich musste gar nichts machen. Ich saß nur da, die Männer kamen in den für uns reservierten Raum in der Knastschule, schüttelten mir die Hand und stellten sich vor. Sie boten mir Kaffee und Kekse an. Man sah ihnen an, dass sie selten nach draußen gehen. Würde ich einen alten Freund wiedertreffen, dessen Gesicht so aussieht wie die Gesichter dieser Männer, würde ich fragen, ob es ihm grade nicht gut geht, ob etwas Schlimmes passiert ist. Aber aus diesen müden und blassen Gesichtern erfuhr ich nur Offenheit, Freundlichkeit und Neugier.


Fast alle Häftlinge brachten fertige Texte mit in den Workshop oder erzählten davon, dass sie während der Haftzeit viel schreiben. Tagebuch, Memoiren oder Raps. Einer der Männer gab sich als Ghostwriter von Kool Savas zu erkennen. Meine Arbeit bestand als nächstes daraus, die Workshopteilnehmer mit dem Format Poetry Slam vertraut zu machen, das die meisten von ihnen nicht kannten. Ich erzählte die Herkunfts- und Verbreitungsgeschichte von Poetry Slam in den USA und Deutschland, wir hörten uns viele Slam-Texte auf CD an und analysierten ihre Form, ihren Inhalt, die Vortragsweise. Wir erarbeiteten uns einen eigenen Begriff von Slam Poetry.


Die Teilnehmer wollten während der Workshopnachmittage keine Zeit zum Schreiben. Sie sagten, Zeit zum Schreiben hätten sie genug. Also konzentrierten wir uns auf die gemeinsame Arbeit an bestehenden Texten und ihren Vortrag. Als Performanceübung zum Aufwärmen lasse ich die Teilnehmer meiner Workshops Emotionen auf Zettel schreiben, diese Zettel sammle ich ein und lasse dann  jeden einen ziehen. Die Aufgabe lautet: Trage das ABC in der von dir gezogenen Emotion vor, zum Beispiel traurig oder aggressiv. Ein Teilnehmer zog „Freude“ und fragte: Was soll ich machen, wenn ich vergessen habe, wie sich anfühlt, was auf meinem Zettel steht?


Ansonsten verbrachten wir tolle Stunden, ich zumindest empfand es so. Wir schafften es, mit Vertrauen und produktiv zusammenzuarbeiten. Wir erprobten Techniken, die helfen können, Nervosität zu bekämpfen. In einer Übung stand jeweils ein Teilnehmer als Marionette vor der Gruppe und alle zogen so lange an ihm herum, bis er für sich eine sichere und gute Bühnenhaltung gefunden hatte. Diskussionen über einzelne Aspekte von vorgetragenen Texten drifteten immer wieder ab und wurden zu philosophischen Gesprächskreisen. Wir sprachen zum Beispiel lange über die Angst vor dem Tod, über Endgültigkeit. Ich hatte das Gefühl, die Häftlinge genossen es, Zeit und Raum dafür zu haben, sich mit Dingen zu beschäftigen, die sie umtrieben, und dadurch einen Teil der Autorität über ihr Leben zurückzugewinnen. Am Ende dieses Prozesses hatte jeder mindestens einen fertigen Text und das Rüstzeug, um ihn wirkungsvoll vor einem Publikum vorzutragen.


Die Nervosität vor dem abschließenden Auftritt war bei allen zu spüren. Bei Teilnehmern, Zuschauern, Begrüßungsrednern. Und auch mein Herz schlug sehr heftig, als es losging. Niemand konnte einschätzen, was passieren würde. Es waren wirklich 100 Zuschauer gekommen, um sich die Texte der Häftlinge anzuhören und sie zu beklatschen. Die Anstaltsleitung hatte sogar erlaubt, dass von jedem Insassen zwei Angehörige kamen. Ein Teilnehmer saß nach seinem Auftritt neben seiner Frau in der ersten Reihe und hielt für den Rest der Veranstaltung ihre Hand.
Es funktionierte, die Stimmung war gut, die Texte waren gut, die Publikumsjury gab anständige Wertungen ab. Die Häftlinge erfuhren etwas, das in ihrem Leben in der JVA abwesend ist: Anerkennung. Ich glaube, nichts hilft diesen Männern mehr dabei, einen Weg zurück in die Mitte derer zu finden, die vor der Bühne saßen und ihnen Applaus spendeten, als Anerkennung. In der Pause gab die Knastküche für alle Essen aus. Häftlinge und Zuschauer standen gemeinsam in der Schlange und warteten darauf, dass man ihnen eine unglaublich große Portion Reis mit irgendeiner roten Soße auf den Teller klatschte. Anschließend aßen alle zusammen in der Kapelle. Landtagsabgeordnete neben verurteiltem Drogendealer neben Psychologiestudentin. Die Knastkapelle der JVA Schwerte war zu einer Schnittstelle geworden. Und über allem schwebte ein sehr großer Begriff, der in diesem Moment erfüllt war: Inklusion.


Am Ende gewann jemand den Poetry Slam, es gab eine Zugabe und Geschenke und viele Danksagungen. Und ganz am Ende gewannen alle, die teilgenommen und zugeschaut haben, gemeinsam mit denen, die „Lyrik hinter Gittern“ ermöglicht haben. Das Licht in der Knastkapelle war an diesem Abend hell und warm und gelb.

 

Video vom Siegertext:

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Frau Ahnungslos (Mittwoch, 20 August 2014 11:17)

    Gefällt mir sehr gut dieses Projekt. Erinnert mich ein wenig an die Geschichte von Erin Grunwell. Auch wenn es sich dort um die Kids handelt.
    Der Satz hat mich sehr mitgenommen. Das nochmal erwähnt. "Ein Teilnehmer zog „Freude“ und fragte: Was soll ich machen, wenn ich vergessen habe, wie sich anfühlt, was auf meinem Zettel steht? "